9.8.11

Einführung oder: Was ist Expressionismus?

Was ist der Expressionismus?
Der Expressionismus ist eine eigenständige Stilrichtung in Malerei, Literatur und später im Film, die sich etwa zur Zeit der Jahrhundertwende, man geht von ca. 1910 aus, herausbildete. Im Folgenden soll erläutert werden, inwieweit sich der Expressionismus von anderen Stilrichtungen, die neben ihm existierten, abgrenzt. Denn anders als in Epochen davor, existierten in der Zeit der Jahrhundertwende – wie heute übrigens auch noch – eine Vielzahl von Stilrichtungen gleichzeitig, sodass man nicht mehr von einer Vorstellung einer Epoche als solche ausgehen kann. Denn ein Stil ist zeitlich nicht vom anderen abgrenzbar. Auch steht nicht jeder Stil zum anderen in einer Art Konkurrenzverhältnis oder dergleichen. Es sei denn es handelt sich bewusst um eine Gegenströmung. In der Regel sind aber Berührungspunkte vorhanden.


Was unterscheidet den Expressionismus von anderen Strömungen?
Realismus
Vor dem Aufkommen des Expressionismus war in Deutschland in der Literatur und auch in der sonstigen Kunst noch der Realismus vorherrschend. Dieser war etwa von 1830 bis 1890 aktuell. Der Realismus versuchte stets die Vorstellung von der Realität mit etwas schönem und harmonischem in Verbindung zu bringen. Doch angesichts der Entwicklungen zur Zeit der Jahrhundertwende, geriet diese Strömung in Legitimationsschwierigkeiten. Aufgrund von Veränderungen in der Erfahrungswelt der modernen Industriegesellschaften, war es schwierig eine solche Vorstellung aufrecht zu erhalten.

Naturalismus
Mit diesem Problem rechnete der Naturalismus ab, er forderte die Anerkennung objektiver Verhältnisse auf Kosten des Schönen. Damit einher ging die Vorstellung des Determinismus, d.h. der Mensch wird zum Spielball seiner sozialen Verhältnisse. Er ist das Objekt seines Umfeldes. Dabei geht dieser Weg jedoch nicht in Fatalismus und Schicksalsgläubigkeit über. Es wird jedem Menschen die Möglichkeit eingeräumt, Missverhältnisse und ihn beeinflussende Faktoren zu erkennen und zu verändern, wenn auch nicht in hohem Maße. Die Aufmerksamkeit soll dabei vor allem auf das Unbeachtete gelenkt werden. Der Expressionismus will sich vom Naturalismus abheben, indem er von der absoluten Selbstbestimmtheit des Menschen ausgeht. Er unterstellt dem Naturalismus eine fatalistische Haltung, indem dieser davon ausgeht, der Mensch sei Objekt seines Umfeldes. Der Expressionismus geht vielmehr davon aus, dass der Mensch in der Lage ist - in jedem Fall - sein Leben selbst zu gestalten.

Symbolismus
Der Symbolismus ist eine Gegenströmung zum Naturalismus, die im 19. Jahrhundert in Frankreich entstand. Sie steht nicht in einem direkten Gegensatz zum Expressionismus, aber der Expressionismus hebt sich dennoch von ihr ab. Der Symbolismus strebt eine Herstellung der Einheit Mensch und Natur an. Diese Einheit vollzieht sich im Imaginären. Indem ein „schöner Schein“ der Welt konstruiert wird. Defizite und Fehler der realen Welt werden dabei bewusst beschönigt und damit ausgeblendet. Das geht so weit, dass sich die äußerlich wahrgenommene Welt mit dem Schönen und Idealisierten zu einer Einheit verschmilzt. Damit wird dieses Bestreben zum ästhetischen Selbstzweck. Weshalb man beim Symbolismus oft von Ästhetizismus spricht. Das spiegelt sich auch in der Wahl der Formen und Stilmittel wieder. Zum Symbolismus gehört auch die Strömung des Jugendstils in Malerei und Literatur. Der Expressionismus verhält sich in sofern zum Symbolismus konträr, indem er das für ihn Sinnhafte, nicht in der objektiven Welt und damit der Realität sucht. Er arbeitet mit anti-realistischen Formen, der Ästhetizismus hingegen orientiert sich an der Realität und baut auf Basis dieser seine Vorstellung vom Schönen auf. Als weiterer Begriff in diesem Zusammenhang wäre der Neoklassizismus zu nennen. Denn schon die Klassik geht vom ewig Guten und Schönen in der Welt aus.

Damit kann hier durch die Abgrenzung zu anderen Bewegungen dargestellt werden, dass es sich beim Expressionismus um eine eigenständige Strömung handelt. Denn ohne Abgrenzung zum Bisherigen, kann man nicht behaupten es gäbe den Expressionismus als eine eigene Bewegung. 
Der expressionistische Stil ist wiederum eine Erscheinung, die aus den spezifischen Geisteshaltungen, die hier erläutert wurden resultiert. 
Einen Beitrag zur Beschreibung des expressionistischen Stils habe ich in einem anderen Artikel beschrieben.

Ich schließe hier mit einem Zitat von David Lynch, den man durchaus als einen späten Verwerter expressionistischer Stilmittel und Geisteshaltungen bezeichnen kann. Es spiegelt für mich genau das wieder, was der Expressionismus im Großen und Ganzen versucht, nämlich den Menschen zu tiefen Emotionen zu bewegen, die auch frei von jeder logischen Erklärbarkeit liegen.[1]

"Das Kino kann die Zuschauer in eine Welt jenseits des Intellekts entführen, in der sie sich ganz und gar ihrer eigenen Intuition anvertrauen müssen. Es geht nicht darum, etwas zu verstehen, sondern darum, etwas zu erfahren." [2]



[1] Krause, Frank: Literarischer Expressionusmus. Fink: Paderborn 2008.
[2] David Lynch aus: Der Spiegel, Nr. 16/2007, S.192

1 Kommentare:

  1. Finde ich klasse, dass du David Lynch behandelst. Ich liebe seine Kunst!

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